Mein Pferd - Mein bester Freund?

Wir Pferdemenschen investieren gerne viel Zeit in unser liebstes Hobby und geben unser Bestes, damit es unseren Pferden gut geht. Es werden keine Kosten und Mühen gescheut, gute Haltungsbedingungen und passendes Equipment bereit zu stellen und auch der Ostheopath, den wir oft selbst genauso dringend bräuchten, kommt regelmäßig vorbei.

 

Mit dieser Bereitstellung von optimalen Bedingungen und der menschlichen Fürsorge, geben wir einen großen Teil in die Beziehung zu unserem Pferd, die im besten Fall natürlich ein harmonisches Miteinander widerspiegelt. Diese Fürsorge hat auch eine große Berechtigung, da Pferde zwar domestiziert sind, sie aber dennoch nicht auf diese Welt kamen, um uns ein guter Begleiter zu sein. Deshalb ist es auch unsere Aufgabe, Ihnen einen artgerechten Lebensraum zu bieten und sie schmerzfrei zu trainieren, denn die Pferde tun etwas, das sie von Natur aus nicht täten: Mit uns zusammen leben.

 

Die Pferdesprache zu sprechen, ist eine Sprache mit Grenzen. Nur weil ich die englische Sprache spreche, bin ich kein Engländer. Und nur weil ich mit Pferden gut kommuniziere, bin ich noch lange kein Pferd. Ich kann der Herdenchef sein und ich kann Teil der Herde sein, aber ich bin trotzdem kein Pferd.

 

Wir Menschen vermenschlichen Tiere leider viel zu oft, obwohl wir eigentlich wissen sollten, dass dies erstens falsch und zweitens unmöglich ist. Wir schreiben Tieren Gefühlszustände zu, die weder ein Hund noch ein Pferd wirklich fühlen kann oder sein Handeln danach ausrichtet. Ein Pferd wird uns nicht aus Hinterlist aus dem Sattel befördern. Es wartet nicht bis zu einem bestimmten Baum und zählt dabei von 10 runter. Ebenso empfindet es keine Scham oder Reue, die wir ihm am nächsten Tag nach einem misslungenen Training antexten. Das Pferd wirft uns herunter, weil es in dem Moment vielleicht Schmerzen verspürt, der Druck zu groß ist oder die Pferde auf der Nachbarwiese Angst haben. Und es zeigt uns am nächsten Tag durch zurückhaltendes Annähern nur, dass es uns wahrscheinlich auch meiden würde, wenn wir das Futter nicht in der Hand hätten.

 

Jede Reaktion ist instinktiv oder erlernt, egal wie sehr wir uns wünschen, dass es anders ist. Ein Pferd tut immer, was ein Pferd tun muss. Dass es dabei auch sehr menschliche Verhaltensweisen gibt, die mehr erahnen lassen, ist der Lauf der Natur.

Besonders im Training mit den Pferden fällt es oft schwer eine gesunde Linie zwischen dem menschlichen Sein (wer bin ich und wenn ja, wie viele?) und der Pferdesprache und deren Instinkten zu ziehen, was letztendlich zu sehr vielen Missverständen führt. Dies hat vor allem mit der Suche nach Schuld zu tun. „Was habe ich dir getan, dass du einfach nicht willst?“. „Welche Farbe braucht das Halfter, damit du auf den Anhänger gehst?“ Und mein Lieblingssatz: „Ich glaube er möchte HEUTE nicht.“ Diese Erklärungen machen es einfach, den Fehler nicht bei sich selbst zu suchen. Dies zu tun, könnte nämlich schmerzhaft sein, denn man muss das eigene Verhalten reflektieren.

 

Sehen wir uns die Pferdesprache an, finden wir  soziales Verhalten, sowie viele Instinkte für die Ressourcenfindung und –verteidigung. Dabei ist besonders zu bemerken, dass Pferde untereinander auch mal sehr hart kommunizieren, den Druck bei Erfolg aber auch sofort nachlassen und freundlich sind. Ein ranghohes Pferd, das an die Heuraufe will, debattiert nicht mit den anderen, ob das wohl möglich wäre. Es empfindet danach auch keine Reue, dass es vielleicht zu hart durchgegriffen haben könne und die anderen Pferd würden auch nicht denken: „Man, der ist heute aber stinkig.“

 

Es will eine Ressource, in dem Fall das Heu, weil der Instinkt Hunger hat, es ranghoch und bereit ist, diesen Rang zu verteidigen. Natürlich gibt es hierbei unempfindlichere Pferde, die dementsprechend viele Sanktionen aushalten und solche, die schon bei kleinem Druck fliehen. Also die einzige Vermenschlichung, die wir dem Pferd wirklich auferlegen können, wenn wir wollten. Pferde haben natürlich auch schlechte Tage, die aber nicht aufgrund von diversen Gefühlszuständen entstehen, sondern weil es in ihrem Umfeld Veränderungen gibt und sie körperlich auf Dinge reagieren, wie zum Beispiel das Wetter.

 

Diese Tatsachen machen es für uns leider nicht einfacher, denn der Mensch speichert Erlerntes mit vielen Emotionen und überträgt diese Denkweise auf das Pferd, als wäre es eine Freundschaft, die durch „geben“ und „nehmen“ lebt und gleiches Interessen teilt.

 

So ist es für uns zum Beispiel sehr schwer zu verstehen, wenn das Training an manchen Tagen nicht klappt, obwohl wir doch so unheimlich gut drauf sind und wir diese Freude mit unserem Pferd teilen wollen. Wir sollten uns hier wirklich im Klaren sein, dass dies unser alleiniges Denken ist und das Pferd an sich nicht tangiert.

 

So war kürzlich eine Reitschülerin sehr unglücklich darüber, dass die Freiarbeit am Wochenende mit Ihrer Stute überhaupt nicht klappte, wie sonst. Sie habe Urlaub gehabt und sich sehr auf die freie Zeit gefreut, war motiviert und hatte sich tolle Übungen ausgedacht. Ich schaute sie mitleidig an, da ich diese Gefühle sehr gut nachvollziehen kann und es auch mir oft sehr schwer fällt, die Reaktionen meiner Pferde nicht zu vermenschlichen. „Ja, ich weiß. Sie ist nicht meine menschliche beste Freundin.“ Da haben wir die Antwort.

 

Foto: Charlotte Gläser