Freiarbeit

Das freie Arbeit (und auch möglichst materialfreie Reiten) erfreut sich wachsender Begeisterung und ist zu einem richtigen Trend in der „Neu-modernen-Pferdeszene“ geworden. Das Pferd mit möglichst wenigen Hilfen, am besten komplett halfterlos in verschiedene Bewegungen zu bringen und vielleicht noch die ein oder andere Zirkuslektion einzubauen, prägt vor allem im Internet sehr viele Bilder.

 

Das besondere an dieser Arbeit, ist eben genau das: Frei sein, eins sein mit dem Pferd – gemeinsam frei und doch zusammen sein. Auch für mich absolut erstrebenswert und eine wunderbare Alternative zum Trainingsalltag. Freiarbeit fordert und fördert unsere Freimotorik, Feingefühl und klare Kommunikation mit dem Pferd. Zumal wir damit genau da arbeiten, wo das Pferd seinen Ursprung hat. Viele Trainer, die mit undomestizierten Pferden arbeiten, wissen um Ihre Sicherheit und trainieren (man sollte es eher kommunizieren nennen) vorrangig erst einmal frei mit dem Pferd zum Beispiel in einem Roundpen. Es ist bis dahin ja auch meist gar nicht möglich, überhaupt an das Pferd heranzukommen. Die Notwendigkeit macht hier also die Freiarbeit möglich.

Im Internet explodieren Videos und Beiträge von Trainern und Pferdeshows, bei denen dieser „Spirit“ einem großen Publikum in Perfektion präsentiert wird. Diese, zur Perfektion ausgebildeten Pferde, zeigen, was sie auf kleinste Signale der Trainer gelernt haben, was natürlich einer wirklich guten Arbeit des Trainers zugrunde liegt.

 

Nun kommen diese Menschen weg von Ihrem Handy oder aus der Show heraus mit einer beeindruckenden Erinnerung und einer klaren Vorstellung des Gefühls der Atmosphäre in den nächsten Unterricht und wollen genau das auch.

Wer mich kennt, der weiß, dass ich ein Mensch der klaren Worte bin, und das ist in meinem Job auch wichtig, denn das Pferd ist immer Realität: Wahr, echt und unbeeinflusst in dem jetzigen Moment, wo ich neben ihm stehe. Deshalb muss ich dem Glitzer und Zauber im Kopf leider erst einmal einen Strich durch die Rechnung machen, denn bis ein Pferd so gut mit einem Menschen frei arbeitet, dauert es (je nach Pferd und Mensch) eine Zeit.

 

Es ist, wie weiter oben bereits erwähnt, eine Ausbildung. Genau die Ausbildung, die das Pferd veranlasst, in jeder Lebenslage auf den Anhänger zu gehen, wenn man dies denn gut trainiert hat. Und auch genau die, die das Pferd an der Longe laufen und auf unsere Peitsche und Stimme hören lässt. Und letztendlich auch die, die dem Pferd unter dem Sattel sagt: Bitte trabe an. Ihr wisst vielleicht noch, wie schwer das war und wie lange es gedauert hat, es Eurem Pferd beizubringen? Das ist super, denn dann können wir ganz objektiv und unabhängig von irgendwelchen Vorstellungen frei arbeiten und dem Pferd und Euch eine Ausbildung in einem weiteren Bereich geben.

 

Ganz oft muss ich den Begriff „Vertrauen“ im Bezug auf Freiarbeit erklären, da oft fest davon ausgegangen wird, das Pferd würde das freie Zirkeln und Freiarbeit an sich nur machen, weil er mir vertraut. Das ist aber nur die halbe Wahrheit, denn das Gefühl Vertrauen, wie es menschlich ist, ist bei dem Pferd ein erlerntes Verhalten.

 

Ein Pferd vertraut in erster Instanz einmal aus dem Grund, weil dem, was ihr sagt (körperlich oder mit der Stimme) eine Tat folgt, die im Idealfall immer die Gleiche ist. Es kann sich also irgendwann sicher sein, dass es sich neben Euch entspannen kann, wenn ihr entspannt seid und unbeachtet dessen, was in dem Moment sonst um Euch herum passiert, nichts von ihm gefordert ist. Es kann zur Ruhe kommen, Energie sparen die Verantwortung abgeben und ist deshalb gerne bei Euch weil es Euch vertraut, dass sich diese Tatsache nicht auf einmal wieder ändert. Es hat also auch selbst ein Interesse daran, bei Euch zu bleiben, nachdem es ein paar Mal frei um Euch herum gelaufen ist, um wieder Pause zu machen. Vielleicht gibt es ja zur Belohnung auch noch etwas Leckeres.

 

Es gibt verschiedene Techniken, das Pferd frei zu führen und es irgendwann um sich herum zu schicken. Halfter, Strick, Halsring und Gerten sind dabei die Mittel der Wahl und es macht auf jeden Fall Sinn, zunächst mit vielen Helferchen anzufangen und diese dann nach und nach wegzulassen. Bewährt hat sich außerdem ein abgetrennter Arbeitsbereich, der Orientierung gibt und das Pferd durch die Nähe immer wieder auf Euch lenken lässt. Eine große Halle birgt nämlich die Gefahr, dass das Pferd seine Freiheit nutzt, wobei wir beim nächsten wichtigen Punkt sind.

 

Anders, als in vielen anderen Sparten des Pferdesports, hat das freie Pferd offensichtlich die Möglichkeit „Nein“ zu sagen, selbst wenn es in einem Roundpen gearbeitet wird. Für Pferde ist gerade dieses Training sehr viel Kopfarbeit und damit unheimlich anstrengend, auch wenn man das gar nicht denken mag. Beim Reiten zum Beispiel, sagt ihr dem Pferd viel mehr und genauer, was es tun soll. Je nach Reitweise läuft es mehr oder weniger selbstständig. In der Freiarbeit betraut ihr es mit einer Aufgabe: Ich möchte, dass du mitdenkst und gebe dir die Aufgabe, um mich herum zu laufen. Wie das aussieht, ist dir überlassen. Hier ist nun Feingefühl gefragt, damit man bereits nach ganz kurzer Zeit den passenden Moment findet und lobt. Manchmal ist aber selbst diese Aufgabe zu schwer oder man verpasst diesen Moment und das Pferd dreht sich nach außen weg und sagt damit: Sorry, das ist mir zu schwer. Ich kann oder will das in diesem Moment nicht für dich tun. Ich erkläre es gerne mit diesem Beispiel: Es ist, als ob der Stecker des Staubsaugers aus der Steckdose ploppt, weil wir zu weit gegangen sind.

 

Diese Entscheidung für ein „Nein“ müssen wir Menschen erst einmal schlucken und uns hinterfragen, woran es jetzt genau gelegen hat. Deshalb hat diese Arbeit auch so unglaublich viel mit uns selbst zu tun, denn das Pferd würde in der Natur nur aus absoluter Neugier unsere Nähe suchen.

 

Es gibt außerdem unter den Pferden ganz unterschiedliche Typen. Solche, die sehr extrovertiert sind und sich auf Eigenständigkeit freuen aber auch solche, die sehr schüchtern sind und lieber geführt werden. Es ist dann unsere Aufgabe, beiden Typen gerecht zu werden.

 

Ihr seht, die Freiarbeit ist ein eigener, sehr spezifischer und vor allem schwieriger Trainingsbereich und die Trainer und Pferde aus den Shows sind einen sehr langen Weg gemeinsam gegangen, um Euch diese Leichtigkeit zeigen zu können.

 

Ich begleite Euch gerne in die gemeinsame Freiheit, denn es macht nicht nur unheimlich Spaß, sondern zeigt Euch auch eine ganze Menge auf. In jedem Fall ist es auch eine Selbstreflexion, die man aber eben auch annehmen muss. Wie das am besten funktioniert, besprechen wir gerne im nächsten Unterricht.

 

Fotos: Charlotte Gläser