Gatsby

Eine, meiner größten reiterlichen Herausforderungen, war in den letzten Wochen zur Grundausbildung da. Der klein gebliebene Hannoveranerwallach Gatsby ist nun fünf Jahre alt und sollte Reitpferd werden.

 

Charakterlich ist der junge Mann einer von der ganz harten Sorte. Als Fohlen der Leitstute bekam er schon mal ein gutes Selbstbewusstsein und braucht beim Platzverweis seiner Kumpels eine ordentliche Ansage, bis er als rangniedrigeres Pferd auch wirklich das Feld räumt.

 

Seine Besitzerin machte in seiner bisherigen Ausbildung zum Reitpferd eigentlich alles richtig. Bodenarbeit, Longe, Spaziergänge, Doppellonge, rüber legen, führen lassen, ein paar Runden alleine reiten ohne keine großen Anforderungen.

 

Auch wenn man eigentlich alles richtig macht, können Feinheiten über Fort- oder Rückschritt entscheiden. So sagte Gatsby irgendwann: „Also das mit dem Reiten haben wir jetzt ein paar Mal gemacht, hab ich mir angeguckt, ist nichts für mich.“ Und setzte zum Rückwärtsgang an. Beim Rückwärtsgang sollte es aber nicht bleiben und der Wallach wuchs aufgrund der zunehmenden Unsicherheit seiner Besitzerin über sich hinaus, bis auch wirklich niemand mehr reiten wollte.

 

Ich suche in diesen Fällen immer zunächst die Probleme und Schwachstellen und den dazugehörigen, für das Pferd (nicht für den Reiter!) einfachsten und angenehmsten Weg, bei dem das Pferd viele Möglichkeiten hat, Dinge zu verstehen und erfolgreich zu sein.

 

Bei Gatsby konnten wir sehr sicher sein, dass die typischen Themen, wie Sattel, Zähne, Rücken, Hufe, etc auf „grün“ standen, da sie vorher vorbildlich von der Besitzerin durch fachkundige Spezialisten gecheckt wurden.

 

Nun können Pferde leider nicht sprechen und übrig blieb das Pferd als Ganzes. Wenn man sich Gatsbys körperliche Gegebenheiten für die Nutzung eines Reitpferdes anschaut, fallen diverse Defizite auf: Vorständige Kapalgelenke, schwacher Rücken, gerade Kruppe, weiche Fesselung der Hinterbeine, drahtige (blütige) Muskulatur. Interessant ist auch hier wieder, dass die Abstammung eigentlich für ein gutes Reitpferd spricht, die Natur aber eben manchmal andere Pläne hat. Folglich sagt der Körper des Wallachs: „Reiten ist anstrengend.“

 

Wir gingen ein paar Schritte zurück und setzen die Grundkommandos an der Longe und in der Handarbeit gezielter, klarer und konsequenter um. Dazu kamen Seitengänge und Übungen, die das Pferd schon vor dem Reiten in körperliche und mentale Arbeit brachten. Diese Dinge hielten wir ohne große weitere Anforderungen für das Pferd, damit er nicht überfordert wurde und in den gleichbleibenden Abläufen Sicherheit fand.

 

Danach widmeten wir uns wieder dem Reiten, was wir auf absolut kleinem Niveau aufbauten. Trotz dessen, sagte der Wallach sofort: „Das haben wir schon mal gemacht, das fand ich blöd, brauchen wir nicht noch mal anfangen! Danke, Tschüss!“ Und machte dies unmissverständlich klar. Wohnungsnot bekam hier eine neue Bedeutung und dennoch war „drauf bleiben“ die einzige Option, dem Pferd zu vermitteln, dass uns eine BRAVE Schrittrunde alleine mit Reiter ohne führende Person reicht, er sich benehmen muss und wir danach sofort Pause machen.

 

Es dauerte viele gefährliche, kurze, konsequente und dennoch lobende Trainingseinheiten, bis wir nicht mehr bei -20, sondern bei 0 angekommen waren und nun mit neuen gefestigten Spielregeln an eine Grundausbildung denken konnten. Das Pferd hatte nun zunächst verinnerlicht: „Ich finde Reiten immer noch doof, aber es ist gar nicht so schwer und dauert auch nicht lange und ich werde überschwänglich gelobt, wenn ich dabei lieb bin.“

 

Mit dieser Basis kam Gatsby zu mir in den Stall und wir widmeten uns der weiteren Ausbildung. Das Niveau hielt ich zunächst auf gleichem Stand und steigerte es jeder Woche nur minimal. Da der Wallach gelernt hatte, dass Gegenwehr keine Erfolgsaussichten hat, schwenkte er zum anderen Extrem um, welches er auch in der Herde zeigt.

 

Wir standen regelmäßig angewurzelt, regungslos, teilnahmslos und völlig unbeweglich. Egal, was ich da oben versuchte – Gatsby strafte mich mit Ignoranz (dahinter steckt natürlich viel mehr aber das ist ein Thema für den Newsletter und würde den Rahmen sprengen.) Ich stand alleine inmitten meines Reitplatzes und fragte mich: Was mache ich denn jetzt?

 

Natürlich wäre es ein Leichtes gewesen, sich mit der Gerte auszuhelfen und sämtliche Hilfen bei Gegenwehr damit durchzusetzen. Aber das war nicht die Lösung!

Ein ganz kleiner Exkurs zur Gerte. Für mich persönlich – das mag jeder anders sehen(!) - ist die Gerte in erster Linie ein Energie erzeugendes Hilfsmittel. Die meisten Pferde reagieren darauf mit mehr Eigenenergie (sie werden „elektrischer“), auch wenn das zunächst gar nicht unser Ziel ist. Warum dies so ist, hat unzählige Gründe und auch das werde ich im nächsten Newsletter ausführlich thematisieren - es würde wieder den Rahmen sprengen.

 

In zweiter Linie präzisiert sie meine Schenkelhilfe oder unterstützt diese, wenn ich sie genau dort (mit-)benutze, wo auch mein Schenkel liegt.

 

Wenn ich nur Reiten kann, wenn ich eine Gerte habe, stimmt etwas in der Ausbildung/Situation/Hilfengebung/Präzision/etc nicht! Ein Pferd sollte lernen, dass eine Reiterhilfe eine Anweisung ist, der es folgen sollte. Es darf auch mal eine andere Idee mit einbringen, vorschlagen oder hinterfragen aber dennoch ist zum Beispiel die treibende Schenkelhilfe der unmissverständliche Befehl, sich in Bewegung zu setzen.

 

Kann ich dies nur mit einer Gerte erreichen, hat das Pferd die richtige Reaktion auf den Schenkel noch nicht verstanden/gelernt oder es hinterfragt meine Ernsthaftigkeit oder es hat diverse andere Gründe, meiner Anweisung nicht Folge zu leisten (Schmerzen, Müdigkeit, Unwohlsein, Überforderung, etc).

 

Nun kommt eine zweite Komponente hinzu – meine Sicherheit und Risikobereitschaft und meine Erfahrung einzuschätzen, oder diese oder jene Korrektur zum Erfolg führen wird oder mich nur weiter in Gefahr bringt.

 

Wie kann ich meine Hilfe verständlich machen und so durchsetzen, dass weder ich gefährdet bin, noch das Pferd wieder in alte Verhaltensmuster verfällt? Und das ohne Gerte?

 

Ich machte die Übungen, die ich vom Pferd wollte (zum Beispiel eine Volte oder antraben) zunächst in der Handarbeit und lobte mit der Stimme. Sofort danach stieg ich auf und versuchte die Übung nachzureiten. Dabei habe ich meine Hilfen auf drei Intervalle eingestellt: Leicht, Mittel, absteigen und durchsetzen. Jede noch so kleine richtige Reaktion lobte ich überschwänglich und dieses große Lob gab es eben nur im Sattel. Das Pferd lernte: „Beim Reiten werde ich selbst für kleine Dinge richtig toll gelobt aber wenn die Alte von oben runter kommt, dann habe ich ein Problem und muss die dadurch leichtere Übung mit erhöhtem Schwierigkeitsgrad ausführen.“

 

Aus der Situation stieg ich sofort wieder in den Sattel und fragte Gatsby erneut: „Kannst du eine Volte gehen?“ Und lobte ihn überschwänglich, wenn wir wenigstens ein Ei schafften.

 

In den darauf folgenden Wochen bekam das Pferd endlich einen Eigenantrieb, eine Eigensteuerung, Vorwärtsdrang (wenn auch mit anderen Pferden nicht vergleichbar), eine positive Arbeitseinstellung mit einem Hauch Disziplin.

 

Wir unterstützten das Reiten jedes Mal abwechselnd mit der Arbeit an der Hand und mit der Doppellonge. Gerade dort konnte ich den Spannungsaufbau auch in den höheren Gangarten erarbeiten und simulieren und so wurde das Pferd immer besser.

 

Nach diesen drei Monaten parkt Gatsby selbstständig am Aufsteiger ein, geht Bahnfiguren und Volten im Schritt und Trab, zeigt gute Seitengänge und findet dadurch auch in eine gute Anlehnung. Er hat gelernt, seine Unsicherheiten „nett“ anzuzeigen, den Reiter dadurch nicht in Gefahr zu bringen und sich mit seiner Rolle als (Freizeit-)Reitpferd zu identifizieren.

 

Seine Besitzerin hat zum Ende seines Aufenthalts im Unterricht alles so weit nachgearbeitet, dass sie es nun zu Hause alleine umsetzen kann. Auch das war ein großes Stück Arbeit, denn nach den anfänglichen Vorkommnissen schwingt auch eine Menge Angst mit der Reiterin mit  - verständlicher Weise.

 

Gatsybs weitere Ausbildung wird sich in diesem Jahr lediglich auf die Festigung des Gelernten konzentrieren. Routine, Sicherheit, Kraft und mentale Stärke brauchen bei einem so sensiblen Pferd Zeit, die man einfach haben muss und keine weiteren Erwartungen haben sollte!

 

Theresa musste mit und von ihrem Pferd eine Menge lernen und das, obwohl sie eigentlich eine gute Grundlage hatte. Manche Pferde sind einfach so speziell und bringen unvorhergesehene Anforderungen mit sich, die den „normalen“ Horizont übersteigen. Ich bin sehr stolz, dass sie nicht aufgegeben hat, obwohl sie weiß, dass auch jetzt noch eine Menge Arbeit vor uns liegt.

 

Trotz aller Umstände hat mir dieses Pferd viel Spaß bereitet und mir auf eine ganz andere Art eine Menge gelehrt. Nun freue ich mich auf die Arbeit mit unseren neuen zwei Berittpferden, über die ich Euch auch berichten werde!